Überleben im Hamburger Straßenverkehr

Die allgemeine Verrohung im Straßenverkehr hinterlässt mich an manchen Tagen einfach nur ratlos. Ich spreche hier gar nicht explizit die Autofahrer an, sondern alle. Wer schon mal in der Dämmerung oder im Regen in Hamburg unterwegs war, der weiß, was ich meine. Es ist ein Haifischbecken. Purer Darwinismus!
In Rom oder Neu-Delhi würde ich mir definitiv weniger Sorgen machen – Panta Rhei. Hier aber schon!
Gesetz des Dschungels
Fangen wir mal an mit der Erfassung der Verkehrsteilnehmer an.
Kurz: Es sind viele. Sehr viele! Die Gruppen im Einzelnen:
Klar, die große und stärkste Mehrheit bilden die Kraftfahrzeuge. Also Pendler, Care-Sharing-Nutzer, Berufskraftfahrer wie Taxen, Busse, LKW, Paketdienste und natürlich auch Polizei und Feuerwehr.
Die schwächsten Partei bilden die Fußgänger mit und ohne Hunde, die (also die Fußgänger) man wiederum in jung und alt, dynamisch und körperlich beeinträchtigt, sozial, naiv und egoistisch unterteilen könnte.
Und natürlich gibt es auch die berühmt berüchtigten Rollerfahrer. Aber weiter.
Es gibt uns Radfahrer, auch diese Segment muss gesplittet werden. Commuter, meist in Tagesleuchtfarben gekleidet, Mütter (manchmal auch Väter) auf Cargo-Bikes, schwerbepackte Lieferdienste und auch viele Kinder, die alleine schon aufgrund ihres eingeschränkten Gesichtsfeldes besonderer Aufmerksamkeit bedürfen..
Das alles gepaart mit einer Verkehrsinfrastruktur z.T. aus der Gründerzeit plus die allgegenwärtige Ablenkung durch Smartphones und/oder Kopfhörer.
Was ich so Tag für Tag erlebe...
Wir wohnen in einer circa 300 m langen gepflasterten Einbahnstraße. Bereits zum zweiten Mal ist mir in den letzten Wochen ein Auto entgegengekommen – also in entgegengesetzter (!) Fahrtrichtung. So ein krasses Vergehen fällt nicht mal eben in die Kategorie Kavaliersdelikt. Darauf angesprochen, werde ich sofort übelst beschimpft bzw. bedroht.
Wenn ich an Fußgängerüberwegen auf grün warte, sehe ich wirklich oft, wie Autos ganz bewusst über eine rote Ampel fahren. Da die Strafen und Bußgelder in Deutschland noch immer so gering sind, scheint es für die Übeltäter ok zu sein. Ganze 30 Sekunden gespart. Bravo!
Oft erlebe ich auch, dass ein rechtsabbiegendes Fahrzeug – obwohl Fußgänger und Radfahrer schon auf dem Überweg sind – noch schnell über die Ampel will. Automatik und Elektroantrieb ergeben ein höllisches Drehmoment und eine gefährliche Beschleunigung. Schon einige Male stand ich direkt vor dem Kotflügel eines Autos, das voll bremsen musste; es hatte mich falsch eingeschätzt.
Die Radwege selbst sind ja per se schon ziemlich enge Gassen. Neben den einfach mal abgestellten oder hingeworfenen Rollern gesellen sich auch immer wieder Plakattafeln (es sind Wahlen, Zirkus ist anscheinend auch immer) die gefährlich in diese Gassen hineinragen.
Ähnlich verhält es sich mit Halteverbotszonen. So ein Metallschild kann dir problemlos den Arm oder Kopf abschneiden. Die schweren Füße der Schilder sind allerdings auch nicht ohne. Alles ebenfalls auf Rad- oder Fußgängerweg untergebracht.
Zugeparkte Radwege oder Fahrzeuge, die aus Tiefgaragen schießen, erwähne ich nur fürs Protokoll.
In der Fahrschule hab ich mal gelernt, man solle immer versuchen, andere Verkehrsteilnehmer anzuschauen, also mit den Augen zu kontaktieren. Das fällt zumindest mir zunehmend schwer, weil fast alle auf ihr Smartphone glotzen. Klingeln hilft auch nur bedingt, wenn jeder zweite Kopfhörer drin hat.
Dann sehe ich auch immer wieder mal Menschen, die einfach quer über eine vier- oder sechsspurige Straße laufen (20 Meter neben einer Ampel). Sich dabei nicht einmal nach rechts oder links umdrehen. Und morgens immer wieder Kinder auf dem Rad ohne Licht. In dunkelblauen oder schwarzen Jacken. Da kann man selbst den Autofahrern keinen Vorwurf machen.
Hab ich schon die Cargo-Bikes erwähnt? Was machst du, wenn dir eins auf der falschen Seite ohne Licht entgegenkommt. Die Fahrerin tippt fröhlich in ihr Handy und schert sich wenig um den entgegenkommenden Verkehr. Am besten man springt gleich vom Rad, denn auch hier ist die Lunte meistens kurz.
Mit Paketdiensten, Taxen und Bussen hab ich zum Glück so gut wie nie Probleme. Leute, die auf ihre Fahrerlaubnis angewiesen sind, können in der Regel fahren und wissen, wie sich sich verhalten. Meistens.
Allerdings stelle ich fest, dass Polizeiwagen oder Zivilstreifen oft ein sehr hohes Risiko eingehen und mit Geschwindigkeiten unterwegs sind, die nicht immer an die Situation angepasst sind. Zumal viele andere Verkehrsteilnehmer gar nicht mehr auf Blaulicht reagieren oder erst in allerletzter Sekunde Platz machen. Ach komm, die Ampelphase krieg ich noch.. Oder, das hab ich auch schon gesehen: Die freie Bahn hinter einem Notarztwagen nutzen und sich in den Windschatten hängen.
Die Liste könnte ich beliebig fortsetzen.
Was bleibt also?
Aufmerksam sein, denn es ist de facto gefährlich. Auch ich bin kein Engel im Verkehr, fahre mal bei gelb-rot oder auf der falschen Seite. Aber ich mache das nur, wenn ich absolut sicher bin, niemanden wissentlich gefährde und selbst dann bin ich sehr „klein mit Hut“.
Wenn ich zivil unterwegs bin, liegt mein Tempo daher zwischen 12 und 15km/h. Ich bin auf alles eingestellt und fahre im absoluten Deeskalationsmodus. Es geht um nichts und doch um alles.
Passt auf euch auf und versucht doch mal selbst, wieder ein paar Regeln einzuhalten. 😉