The Road Less Travelled

Heidschnuckenweg reverse – unterwegs von Celle nach Hamburg

„Willkommen auf dem schönsten Wanderweg in Norddeutschland“, heißt es auf der Homepage der Lüneburger Heide GmbH. […] „ein 223 Kilometer langer Wanderweg, der in 13 Etappen unterteilt ist“. Das geht doch bestimmt auch am Stück. Oder?

Was hatte ich mir da nur wieder einfallen lassen!? Auf den ersten Blick lasen sich die Daten doch erstmal recht moderat und machbar. Bummelig 200km, 1.700hm. Die Wettervorhersage gut, das sollte machbar sein. Wäre da nicht die Spezifikation „Wanderweg“.

Quelle: Strava/Mapbox

Meine Routenvorhersage berechnete 10 Std. Fahrzeit, ich rechnete eher mit elf. Es wurde dann tatsächlich auch nur 28 Minuten länger. Aber dazu später mehr.

Die Bahn-Verbindung nach Celle ist super und so stieg ich morgens um fünf nach acht aus dem Intercity Richtung Berchtesgaden. Noch einen Cappuccino im Bahnhofscafé und dann konnte das Abenteuer auch schon beginnen.
Bereits nach 1,5km musste ich das erste mal vom Track abweichen. Der Wiesenweg entlang der Aller war total überschwemmt. Da war kein Durchkommen und ich wollte keine nassen Füße, noch nicht.

Aller bei Celle

Für alle, die sich an dieser Stelle vielleicht wundern: Wieso fährt der nicht einfach die Hauptstraße? Tja, beim Graveln geht es primär darum, größere Straßen zu meiden und so viel Natur wie möglich zu erfahren. (Stichwort Freiheit und so…). Wie dem auch sei, ich musste zurück. Zum Glück nur ein kleines Stück und dann ging es erstmal normal weiter.

Beim Graveln heißt normal, dass teilweise alle 500 Meter ein Abbiegemanöver notwendig ist und sich damit auch der Untergrund ändert. Man fährt oft auf unterster GPS-Ebene in der Karte. Also die Wege von der Kategorie eines Ackersaums. Latenzen bei der Satellitenortung können da schnell in die Sackgasse führen.

Für 100km hatte ich gut vier Stunden eingeplant, ich wollte so um die Mittagszeit grob Richtung Soltau ein. Denn eins hatte ich im Vorfeld schnell erkannt. Die Versorgungslage war mindestens so gut wie in Teilen Mecklenburg-Vorpommerns. Kurz: Sie war suboptimal. Ich durfte mir also keinen Fehler erlauben, denn es sollte auch noch warm werden.

Die ersten 70km bis Faßberg liefen echt schleppend. Ob es Harvester oder Panzer waren, ich weiß es nicht. Aber es waren lange Ziehwege mit schlammig-lehmigem Untergrund, die im Prinzip überhaupt nicht fahrbar waren. Mein Tacho zeigte streckenweise 10km/h, manchmal 15km/h… Uff. Meter machte ich so jedenfalls nicht. Ich war noch recht entspannt, die Ehrfurcht vor dem Gesamtprojekt blitzte aber schon hier manchmal im Hintergrund auf.

So gut wie nicht fahrbar

Gegen 11:30 war ich in Faßberg. Eine der wenigen Versorgungsmöglichkeiten in Form einer Tankstelle. Die Auslage leer, Mist. Pflichtbewusst holte ich mir etwas Wasser und zwei Riegel für alle Fälle. Nicht zu früh zu süß.

Nächster Checkpoint war Soltau bei 110km. Hier wollte ich entscheiden, wie es weitergeht. Bis dahin aber noch ca. 2h. Ich war weiterhin recht frisch, meine Vorräte waren gut gefüllt und streckenweise kam sogar Euphorie auf. Kiefernwälder, Heide und weißer Sand, soweit das Auge reicht. Und keine Menschenseele weit und breit. Mega!

Freude in Reinform

Aber bereits zu diesem Zeitpunkt ging es immer wieder hoch und runter. Wie aus dem nichts wechselte der Boden von Sand auf Gravel und dann wieder auf Waldboden. Und genau hier lag das Problem. Die Waldböden waren durch den Regen der letzten Wochen noch immer so gesättigt, dass sich große Pfützen, nee, krasse Schlammlöcher gebildet hatten. Wenn man da reinkam, wurde man schmutzig (klaro), aber man rutschte auch sofort weg. Mehrmals hab ich den Luftdruck meines Vorderreifens verringern müssen, aber es nützte wenig. Sobald das Profil des Reifens einmal dicht war, ging das Rad nach einer Seite weg. So bin ich in einer schnellen Abfahrt zum zweiten mal über den Lenker und direkt auf die Seite und den Kopf gestürzt. Kacke!

Crash

Der Überraschungseffekt war groß, der Lenker krumm und das Bein blutig. Aber ich konnte alles wieder richten. Dennoch wusste ich, die Party hatte soeben begonnen. Es würde schwer werden.
– Harter Schnitt –
Stellt euch eine Tankstelle in Soltau vor. Ein Endsechziger mit zurückgegelten Haaren steht in seinen polierten Budapestern neben seinem polierten 911er Cabrio und versucht, unauffällig zu tanken. Plötzlich crasht ein schlamm- und blutüberzogenes Etwas ins Bild. Auf einem… Zweirad. Und klickt mit einem Schmatzen aus seinen Pedalen. Das bin ich. 🙂 Ihr hättet sein Kinnlade sehen müssen.
110km. Halbzeit. Zeit für einen großen Kaffee, viel Wasser und ein belegtes Brötchen. Ein bisschen Klönschnack mit dem Tankstellenbesitzer. Das tat gut.

Unverwüstlich

Kurze Zeit später fuhr ich quasi mitten durch den Heidepark. Der Besucherparkplatz voll. Für Vergnügungen solcher Art hatte ich leider wenig Zeit, ich musste unauffällig weiter. So kam ich an irgendeine Flusslandschaft, die mich echt gefordert bzw. überfordert hat. Auch hier war alles noch stark überflutet. Der Trail war matschig, voller Wurzeln und zum Teil mit Holzstufen bestückt. Yeah! Nach vielen mühsamen Metern dann eine gesperrte Brücke.

Ich saß in der Falle. Noch mal zurück? Auf keinen Fall! Mit dem Rad auf der Schulter bin ich zuerst über den Bauzahn und dann das äußere Brückengeländer balanciert. 3 Minuten Adrenalin und weiter ging es. Kurze Zeit später hatte ich Schwierigkeiten mit dem GPS. Da wo laut Computer der Track sein sollte, war kein Weg. Stattdessen war überall viel Wasser und eine Art Sumpflandschaft.

Dead End Street

Kein Mensch, keine Ortschaft weit und breit. Da kann man schon mal etwas unruhig werden. Ich musste mich echt zusammenreißen. Letztendlich bin ich wieder ein ganzes Stück zurück gefahren, bis der GPS-Empfang besser war. Dann hab ich den Track auch gefunden.

Es folgten lange Ziehwege, viele Kilometer schönste Heidelandschaft und dann der Wilseder Berg. Die Sonne knallte indes aus allen Röhren und die Szenerie glich einer Mondlandschaft. Wunderschön, aber auch etwas unwirklich.

Graveler’s heaven

Mein Magen murrte mittlerweile, ich bekam keinen Riegel mehr runter. Meine Flaschen waren seit einiger Zeit restlos leer, höchste Zeit für Nachschub. Es sollte aber noch bis Undeloh dauern. Dort konnte ich an einem Eier-Automaten mit dem passenden Kleingeld (chapeau!) meine Depots auffüllen. Ich warf auch regelmäßig Salztabletten ein, damit meine Beine brav weiterkurbeln konnten.

Heidekirche St. Magdalenen in Undeloh


Leider nahmen die Schikanen überhaupt kein Ende. Pferdekopf, Brunsberg, etc. Die ersten Schiebe- und Tragepassagen kamen und mir wurde bewusst, dass ich nicht auf dem Mountainbike unterwegs war. Absoluter Wahnsinn also!

Fahren, Schieben oder Tragen?

Die Sonne stand schon tief, als ich die JET-Tankstelle in Buchholz i. d. Nordheide erreichte. Sehr besorgt wurde ich von der Tankstellenmitarbeiterin empfangen. Ich sah wohl aus, als wäre ich unter die Räuber gekommen. Zu diesem Zeitpunkt war mir schon fast alles egal. Ein alkoholfreies Weizen und eine Bockwurst auf die Hand, drei große Flaschen Wasser und dann musste ich sofort weiter. Es waren noch knapp 25km bis zum Ende in Neugraben. Dass ich für diese lächerliche Distanz nochmal 1,5h brauchen sollte, hätte ich niemals gedacht. Mein Computer sagte aber auch noch immer 299 (!) Höhenmeter. WTF?!..
Im Vorfeld hatte ich mir immer nur die südlicheren Abschnitte angesehen, daher wusste ich nicht genau, wie es weitergehen würde. Aber dann war mir irgendwann klar, ein Heidschnuckenweg ohne Fischbeker Heide wäre sinnlos. Die Fischbeker Heide ist Teil eines Mountainbike Reviers für Hamburger Adrenalin-Junkies. Natürlich ist es kein Willingen oder Kaprun. Aber für mal eben schnell um die Ecke kann man sich hier sehr gut erschöpfen. Da ist fahrtechnisch alles dabei.
Und jetzt stellt euch vor, du sitzt seit 10Std. auf einem Gravelbike (das übrigens ganz wunderbar mitgemacht hat), dein Magen rebelliert, deine Rippen pochen, dein Knie zieht und das Licht ist aus. Boah… Ich war echt etwas aufgerieben. Zum Glück hatte ich auch ein Front-Licht dabei. Dennoch waren es mühselige Kilometer mit absolutem Fokus.

Immer wieder umgestürzte Bäume und unterspülte Wege mit fiesen Wurzeln. Ich konnte den Lenker kaum noch halten.

Irgendwann. Irgendwann nach knapp elfeinhalb Stunden hatte ich wieder Teerbelag unter den Reifen. Hamburg-Neugraben. Ich hatte es geschafft!
Ich kann mich an keine Strecke in den letzten zwei Jahren erinnern, die so hart war.

Fazit:
Der Heidschnuckenweg ist definitiv eine Reise wert und über große Strecken auch wirklich schön zu fahren. Die Beschilderung ist zudem vorbildlich. An einem Stück sollte man ihn aber nicht bestreiten wollen – wohl eher als Overnighter oder noch gemächlicher. Heidschnucken selbst habe ich leider keine gesehen.

Mein neues Rad verdient an dieser Stelle besondere Erwähnung. Durch den Sturz musste ich zwar die Schaltung zweimal nachstellen, aber der Rest hat einfach nur funktioniert. Ich bin auch froh, mich damals für die hochwertigeren Laufräder entschieden zu haben. Die GRC 1400 SPLINE 42 von DT scheinen mir wirklich unverwüstlich.

4 Antworten auf „The Road Less Travelled“

  1. Wo anfangen, wo aufhören?🤔

    Dir muss man als erstes, allen Respekt und Ehrfurcht zollen, Sven.
    Von der Planung bis hin zur Durchführung,
    deiner atemberaubenden Tour, ziehe ich den Hut.

    Es liest sich wie ein Krimi, „voller Spannung“ den man sich in einem zug anschauen möchte und nicht genug davon bekommt.😁

    Ansonsten bin ich einfach nur sprachlos von deiner wahnsinnigen Leistung.

    Da kann man gespannt sein, was Dir noch so alles einfällt!
    Ich freue mich schon auf deinen nächsten Krimi 🥳Sven 👏🏼👌🦾

    Grüße aus Kaufungen

    Stefan

    1. Danke, lieber Stefan. In der Tat ist die Planung ein mindestens genauso großer Bestandteil wie das Fahren selber.
      Die Beine machen ja in der Regel selten Probleme. Aber um die Versorgung muss man sich fortlaufend kümmern, sonst wird es nichts. 😉
      Beste Grüße aus HH
      Svensson

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