Brocken and Friends

Liebe Kinder zuhause, bitte nicht nachmachen

Um kurz nach vier bin ich los. Genau, wirklich genau zu diesem Zeitpunkt hat es in Hamburg angefangen zu schütten. Die Luft war mit ca. 18 Grad warm, der Regen auch. Es fühlte sich also im ersten Moment noch gut an. Eine verrückte Idee, derer man zu jeder Zeit Herr ist – jippie. Aber spätestens an den Elbbrücken schwante mir, es könnte ein harter Trip werden.

Knapp 16 Stunden reine Fahrzeit. Leute, es war ein seeeehr langer Tag im Sattel.

Dunkelheit, Regen, Berufsverkehr. Drei Worte, die in Kombination keine gutes Omen bedeuten. In Harburg konnte ich die Konsequenzen deutlich spüren. Es platterte aus allen Rohren, ich hatte volle Beleuchtung an und dennoch war meine Sicht bescheiden. Auch den Autos schien ich wenig zu bedeuten. Mit voller Festbeleuchtung kam mir ein Wagen nach dem anderen entgegen. Viele machten sich gar nicht erst die Mühe abzublenden. Die Spiegelungen unerträglich. Absoluter Horror. Zumal ich in kompletter Tagesleuchtfarbe (neongelb) unterwegs war.

Und so verliefen die ersten Kilometer ganz anders, als ich erwartet hatte. Als es nach 150km aufhörte zu regnen, war ich schon froh. Aber ich war natürlich auch gewarnt. Denn ich wusste, die letzten fünfeinhalb Stunden hatten viel Kraft gekostet. Ich würde es ganz sicher zu gegebener Zeit merken.

Irgendwo in der Wallachheide

Nächster Ort 14km…

Und natürlich hatte es die Lüneburger Heide mal wieder in sich. Der Wind war echt ok, aber dennoch: Lüneburg… Uelzen… nächster Ort 14km… Das zog sich, boaaah. In Wolfsburg hab ich nochmal alles aufgefüllt, Tankstellen gab es immerhin genug. Aber in der Autostadt [sic] war ich der einzige Radfahrer weit und breit. Sehr schräg.

Die Börde brachte endlich etwas Abwechslung. Lange, glatte Teerbänder mit mäßiger Steigung, das machte Spaß. Der Verkehr ließ nach und der Wind meinte es ebenfalls gut mit mir – ich regenerierte und konnte sogar etwas Zeit aufholen. Schön!

In Osterwieck am Fuße des Harzes kam sogar eine gewisse Euphorie auf. In einem Radladen konnte ich meinen trockenen Antrieb fetten und mich etwas für mein Wahnsinnsprojekt feiern lassen. Aber bitte nicht zu früh freuen, es ist noch nicht vorbei.
Der Tag hatte echt schlecht angefangen. Ich war stundenlang im Regen unterwegs, hatte mich aber eigentlich gut gepflegt – dennoch merkte ich jetzt einen nahenden Hungerast. Mist, Mist, Mist. Ich musste dringend etwas tun. Es sollte aber noch dauern, bis ich in Wernigerode etwas Warmes zum Mittag genießen konnte. Viel Zeit blieb auch dort nicht. Ich war ja in Braunlage mit Jens und Alex verabredet.

Dann aber – nach 250 Kilometern – kamen mit einem Schlag die Müdigkeit – und der Verkehr. Ich hatte große Mühe, mich zu konzentrieren. Alle zehn Meter zischte ein Auto an mir vorbei. Der Weg von Hasserode nach Schierke war eine echte Tortour und der Endgegner in Form von Steigung schon deutlich spürbar.

Den ganzen Tag über war ich auf dem großen Blatt unterwegs gewesen. Lustigerweise merkte ich erst jetzt, dass mit 39 (vorne) und 30 (hinten) nicht so viel zu holen ist. Klar, früher hatten wir noch deutlich kleinere Walzen drauf, aber heute kam es mir verdammt wenig vor. Mal schnell hoch zum Brocken. So eine Scheiß Idee! Abschnitte mit 15 Prozent und so. Wie sollte das funktionieren?

In Schierke telefonierte ich nochmal mit Alex und beschloss kurzerhand, den Tag hier im Harz enden zu lassen. Nope – Meine Kräfte würden nicht reichen. Am anderen Ende der Leitung wurde es still, denn sowohl Alex als auch Jens hatten sich riesig gefreut, mich bald unterstützen zu können. Das konnte ich nun auch wieder verstehen und bat um ein wenig Bedenkzeit. Ich wollte erst noch hoch zum Brocken, dann würde ich meine Entscheidung verkünden. In Schierke ging es durch die Schranke auf die abgesperrte Versorgungsstraße. Kein Verkehr mehr. Endlich. Langsam kehrte wieder Ruhe ein. Das Selbstvertrauen kam Meter um Meter zurück. Und ich fuhr durch eine gespenstische Landschaft.

Utopia – Bäume wie Streichhölzer

Das Schöne an der modernen Technik ist, dass sich fast alles visualisieren lässt. Auf den Meter genau sieht man, was noch zu tun ist. Praktisch bei so einem Mega-Climb.
Und während Alex und Jens krampfhaft versuchten, über diverse Baustellen den Weg mit dem Auto nach Braunlage zu finden, schraubte ich mich hoch zum Brocken. Ich war nicht sehr schnell, aber ich fuhr konstant und schön im Sitzen. Die Höhenmeter zählten runter und dann war es auch schon geschafft. Temperatur im einstelligen Bereich, orkanartige Böen, Sichtweite unter 10m. Awesome! 🙂

Leichter 100 yard Blick

Zum Glück hatte ich „unten“ nochmal Wasser aufgefüllt, denn „oben“ sollte es nichts geben. Alles geschlossen. Somit würde ich auch kein Exit-Bier trinken können. Und da es mir eigentlich auch schon wieder viel besser ging, war schnell klar, was man einmal angefangen hat, muss man auch zu Ende bringen.

O-Ton Jens: Du hast es geschafft. Jetzt geht es nur noch bergab.

Pünktlich als ich in Braunlage ankam, rollte schon das Versorgungsfahrzeug mit einer gut gelaunten Schwester und einem tiefenentspannten Soulmate Jens um die Ecke. Nochmal auffüllen, ein bisschen Ballast abwerfen und weiter geht’s.

Um es gleich vorweg zu nehmen, natürlich ging es nicht (!) nur bergab. Nach wie vor war ich ziemlich im Eimer. Das merkte ich vor allem auf den flachen Passagen. Da wo man zu zweit normalerweise leicht 30km/h und mehr fahren würde, kam bei mir nicht mehr viel. Aber wir groovten uns gut ein. Jens hat ein sehr gutes Gespür für das richtige Tempo und meine aktuelle Stimmung.

In Gieboldehausen kam uns grüßend ein Radfahrer entgegen. Wir grüßten zurück und erkannten viel zu spät, dass es Ali war. Ein weiterer Freund der ‚Alten Schule‘, der uns entgegen geradelt war, um die letzten Kilometer einfacher zu machen. Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen.

Train home – mit Ali und Jens

Aber die letzten 80km sollten für mich noch lang werden. Denn wir fuhren bereits in die Dämmerung und bald war die Sonne weg. Es wurde windig, frisch und ich merkte, wie mein Körper immer mehr in Standby ging. Der Puls fiel streckenweise unter 100. Mir war kalt und ich zog mich weiter in mein Schneckenhaus zurück. Natürlich immer stoisch tretend. Das ist zum Glück ein Automatismus. 🙂

Dann Göttingen, Witzenhausen und endlich der Kaufunger Wald. Und so ging gegen 22 Uhr dieser krasse Tag endlich zu Ende. Nach 416km und knapp 3.500hm. Jetzt nur noch raus aus den nassen Klamotten, einen Teller Nudeln und ein Gute-Nacht-Getränk.

War doch gar nicht so schlimm!

Danke an Alex, Jens und Ali. Und Danke an mein tolles Rad. Die ersten pannenfreien 10.000km sind gerollt. Ich glaube, es werden noch ein paar mehr.

2 Antworten auf „Brocken and Friends“

  1. Hallo Svensson, ein mega starker Bericht von einer wahnsinnigen Tour von Hamburg zum Brocken und retour, Chapeau und riesen Respekt vor dieser Leistung. Beim Lesen saß ich förmlich mit auf dem Rad und habe gefühlt jeden Kilometer mitgelitten und habe aber auch genossen. Nächstes Jahr ist es bei mir soweit, dann bin ich auf dem Weg zum Brocken ⛰🚴‍♂️🙈 Mach es gut und bleib gesund, liebe Grüße, Bernd 🍀🍀🙋‍♂️

    1. Moin Bernd,
      danke für deinen Kommentar. Ich freue mich immer, wenn jemand was mit meinen Berichten anfangen kann. Und wenn jemand mindestens genau so verrückt ist. 🙂 Alles Gute auch für dich. Beste Grüße aus dem Norden.
      Svensson

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