MALLORCA 312 – More than a Gran Fondo

Daran ist rein gar nichts übertrieben. Versuch einer Rekonstruktion.

Heiß ging es zu auf dem Highway to hell – © sportograf

Nach einer relativ ruhigen Nacht klingelte um 04:15 Uhr der Wecker – Zeit für die finale Ölung. Whoop whoop!

Während ich mir eine große Schale Porridge mit Datteln reinzog, kontrollierte ich zum letzten mal mein Rad, insbesondere die Laufräder. Alles dicht, wunderbar. In die Rennmontur konnte ich noch nicht schlüpfen, zuerst musste ich ausgiebig in Sonnencreme baden. Hier sollte man sehr gewissenhaft arbeiten, vor allem die Ohren und die Nasenspitze sind beliebte Brandstellen. Naja und die obligatorischen Stuhlgänge vorher sind auch nicht ganz unwichtig. Check, check, check. 🙂 Aber dann rein in die Klamotten.

Bevor ich mich endgültig zur Schlachtbank zum Start begeben durfte, schlurfte ich noch fix in die Werkstatt gegenüber, um den Luftdruck zu kontrollieren. 5bar – alles bestens. 

Die Ruhe vor dem Sturm – © sportograf

Auf dem Weg nach Platja de Muro war es noch stockdunkel. Nicht alle hatten das empfohlene Licht dabei, was die Atmosphäre etwas gespenstisch machte. Aus allen Ecken aber kamen Radfahrer und schnatterten Richtung Start. Obwohl es noch 45 min waren, hatte ich das Gefühl einer der letzten zu sein. Wir kamen nur sehr langsam rein in die Startbox, es waren gefühlt schon mehrere tausend Menschen versammelt. Überwältigend! Wie hatte ich dieses Gefühl vermisst. Aber bitte nicht schon jetzt heulen. 😉

Und vor allem war es auch sehr kalt. Trotz Weste und Armlingen schlotterte ich. Puls unter 60. Egal. Noch schnell die Stulle vom Oberrohr essen. Breakfast completed!
Es wurden immer mehr Leute und als um 06:30 Uhr der Startschuss fiel, fiel auch eine große Last von meinen Schultern. Die unzähligen Ausfahrten und Trainings im Hamburger Winter, das ewige Kämpfen mit dem Wind. Die tägliche Schrauberei am Fuhrpark… Cui bono? Heute war es an der Zeit für einen Kassensturz.

Da liegt was in der Luft – © sportograf

Wenn 8.000 Menschen gleichzeitig losfahren wollen, geht das nicht störungsfrei. Aber nach ca. 10 min war auch ich in Bewegung. Kein Stress, wir hatten ja noch den ganzen Tag Zeit. Wie durch einen Zufall traf ich Ali und wir konnten erstmal zusammen fahren.
Ein Peleton dieser Größe ist schon beeindruckend – birgt aber auch Risiken, denn Schwarmintelligenz ist nur den Tieren gegeben. Leider.

Gesetz des Dschungels

Und so hieß die Devise auf den ersten Kilometern: Durchatmen, überleben und genießen; denn nur wenige Minuten nach dem Start ging die Sonne auf und wir konnten ein unglaublich schönes Panorama in der Bucht von Port de Pollença bestaunen. Bereits hier gab es Fahrer, die ihre großen und kleinen Geschäfte erledigen oder platte Reifen wechseln mussten. WTF? Das würde mir nicht passieren. Wenige Kilometer später kam es zum Full-stop, da eine Fahrerin einfach mal angehalten hatte, um sich ihrer Jacke zu entledigen. Dazu hab ich eine klare Meinung: sofortige Disqualifizierung und eine drakonische Geldstrafe.
Dann ging es endlich hoch. Die 20 km bis Kloster Lluc haben eine moderate Steigung von ca. 5-7% und viele schöne Kehren. Der Belag ist erste Sahne. Leider hatte der Tross noch einige Schwierigkeiten in Flow zu kommen. Überholen ging nur ganz links neben der Fahrbahnbefestigung. Also quasi gar nicht.

Traumpiste ohne Fahrer – © sportograf

Ab dem Coll de Femenia ging es aber besser. Die Reihen wurden schmaler und die erste kleine Abfahrt stand bevor. Jippie! Noch 7km bis zum Puig Major. Ich liebe diesen Berg. Die Höhenmeter vergingen wie im Fluge, denn es gab einfach zu viel zu sehen. Und immer wieder kam ich auch ins Gespräch mit anderen, die nach meinem Rad fragten oder deren Rad mir gefiel. Es war sogar jemand mit FatBike unterwegs.

Die Serra Tramuntana© sportograf

Überwinde deine Angst 

Nach der ersten Wasserstelle und dem zweiten langen Tunnel war der höchste Punkt erreicht und ich musste eine Entscheidung treffen. 15 Kilometer Geballer runter nach Soller. Genug Zeit also, um sich nochmal mit der richtigen Berg-Ab-Fahrtechnik zu beschäftigen. Die Kurven sind recht großzügig geschnitten und ohne großes Zutun fährt man 50km/h. Aber die anderen… viel (!) schneller. Und dann sind mir zwei Dinge bewusst geworden: es sind ja keine Autos unterwegs, somit ist auch kein (!) Gegenverkehr. Wenn ich dann noch das Gewicht entsprechend verlagere und deutlich aktiver fahre (Knie ans Oberrohr, Knie und Ellenbogen ausstellen), kann ich fast ungebremst die Kurven anfahren und dann in die Gegenfahrbahn reindonnern. Genauso wie die anderen. Und schwupps fahre sogar ich 60, 70 und mehr – ohne Angst und ohne, dass das Rad instabil wird. Leute, das war ein Spaß! Awesome shit!

Klein-Svensson in der Mitte – © sportograf

Leider ging die erste große Abfahrt nicht für alle gut aus. Ein paar hat es aus der Kurve gehoben oder in den Graben gedrückt. Denn es kam durchaus vor, dass du mit 5-10 Fahrern in Reihe gefahren bist und plötzlich noch jemand von links vorbei ist oder es zumindest wollte. Sobald die Formation der Fahrer dann aber auf die Gegenfahrbahn schwenkt und der Ideallinie folgt, wird es eng für den Überholenden. Zum Glück hatte ich mein Radar dabei und konnte den Spinner sehen, der mit blockiertem Hinterrad in die Lücke vor mir reingerutscht ist. Welche Lücke?!? 🤪

Irgendwann war die längste Abfahrt zu Ende und ich war happy und ziemlich stolz. In Soller wurden wir mit tosendem Applaus gegrüßt, es roch nach Zitrusfrüchten und viel Feuer auf den Feldern, herrlich! Eine ganze Weile bin ich mit einem Jungspunt aus Manchester gefahren. Das war cool und kurzweilig. Die längsten Anstiege hatten wir zwar hinter uns, aber natürlich ging es immer wieder hoch und runter. Nach Deia und auch knapp vorbei am pittoresken Valldemossa. Alles Sehnsuchtsorte…

Remain seated – © sportograf

Pünktlich, nachdem meine Flaschen leer waren, tauchte die erste Verpflegungsstation auf. Und zwar bei KM 93 am Coll d’en Claret. Es gab belegte Brote mit Schinken oder Nutella (!?), eine Banane, eine Flasche mit Wasser, eine mit Koffeintabletten. Okay, so funktionierte das also. Weiter ging es…

Die Serra Tramuntana ist schon eines schönes Fleckchen Erde. Kleine malerische Ortschaften eingebettet in die schroffe Küstenlinie. Und heute: keine Autos. Das macht einfach nur Spaß.

Trotzdem mussten wir weiter arbeiten. Bergab die bekannten Achterbahnen und hoch längere Rampen. „It’s a sketchy one.“ Yes, Mate!
Bei KM 132 fuhr ich auf Ali auf. Ich wusste zu dem Zeitpunkt gar nicht, dass er vor mir ist. Bereits von hinten sah ich, dass es ihm anscheinend nicht gut ging. Sein Rad fuhr ihn und nicht umgekehrt. Zum Glück kam gleich die zweite Versorgungsstation, so dass er sich pflegen konnte. Meine Taschen und Flaschen waren noch gut gefüllt, ich fuhr direkt weiter. Wenn das mal kein Fehler war. Es ging auch direkt wieder hoch. Es Capdellà, Galilea und der gemeine Aufstieg zum Coll d’es Grau.

Rasante Ortsdurchfahrten mit Rechts-Links-Kombination – © sportograf

Sehr rasant bergab ging es nach Esporles und dann weiter nach Osten. Wir waren jetzt auf der zweiten Hälfte und das Tempo unten im Tal wurde immer krasser. Von hinten kamen Züge mit 15-20 Fahrern angerauscht, die unerreichbar waren. Ich selbst fuhr streckenweise auch über 45km/h auf der Geraden, aber da kam ich einfach nicht ran. Wollte ich auch nicht.

Der Asphalt flimmerte. Das Quecksilber in meinem Radcomputer kletterte auf 40 Grad in der Sonne. Mein schwarzes Trikot war schon lange weiß von der Salzkruste. Und bei KM 180 sah ich erste Verluste am Wegesrand stehen. Manche hatten sich einfach verzockt. Und immer wieder auch Räder, die Kopf standen und nach neuen Schläuchen winselten. Go tubeless!
Kurzzeitig schaffte ich es, eine 4er-Gruppe um ein bildhübsches, blondes Mädel (verzeiht mir) aufzubauen. Sie genoss sichtlich den Windschatten, hatte aber keine Ambitionen mit uns durchzuwechseln. Das wurde wir irgendwann zu blöde und ich fuhr weiter meinen eigenen Stiefel.

Die längst überfällige Verpflegung gab es bei KM 190 in Lloseta. Wasser, Cola, Nüsse und Orangen. Das war gut. Noch 120 Kilometer to go. Also mindestens 4 Std. Puuh!

Lonely Horseman – © sportograf

Und dann kam der Wind. Wir fuhren mittlerweile zum großen Teil nach Osten. Viel Landwirtschaft, kleine, zum Teil gravelige Feldwege und nicht ein Hauch von Schatten. Das würde definitiv keine drei Stunden mehr gutgehen. Mittlerweile war ich die meiste Zeit alleine. Es war sicher auch wunderschön hier, aber dafür hatte ich gerade kein Auge mehr. 

Jetzt fing das eigentliche Rennen an. Immer wieder leichtansteigende lange Rampen, die typischen Killer. Dreißig Kilometer fuhr ich zusammen mit einem jungen Mallorquiner. Er war höchstens Mitte zwanzig, saß auf einem Low-budget Renner und hatte eine sehr beeindruckende Walze auf seinem Hinterrad – so ungefähr 12-25 (8-fach). Wir wechselten fleißig durch, auch wenn er dem Wind mit seinen 60kg wenig entgegenzusetzen hatte.

Letzte Trennung des Feldes

Hinter Sa Pobla trennten sich unsere Wege, denn er fuhr „nur“ die 225er-Runde. Kurze Zeit später kam der erste Krampf und mit ihm eine gewisse Ernüchterung – vielleicht auch Verunsicherung. Zum Glück kam in Ariany eine weitere große Verpflegung. KM 241. Die Stimmung bei den Locals war mega, unter den Fahrern dagegen wurde so langsam der Wahnsinn sichtbar. Ich glaube, ich habe das Schinkenbrot mit Papier gegessen. Es war mir egal.

© sportograf

Es folgten sehr lange und wellige Kilometer über Petra und einen Landstrich ohne Namen.

Wenn mein Oberschenkel (der linke) so langsam am Ende ist, verhält er sich wie ein dicker Alligator in den Everglades. Liegt einfach faul in der Sonne und stellt sich tot. Ohne einen mir ersichtlichen Grund schnappt er zu und hält mich dann für ein paar Minuten im Würgegriff.

Die Krämpfe kamen und gingen und ich versuchte mich irgendwie zu arrangieren. Mit einer Mischung aus hoher Trittfrequenz und Wiegetritt. Es tat weh, aber an Aufgeben war überhaupt nicht zu denken. Mein Magen war zum Glück okay.

Point of no return – © sportograf

Ich kam auch immer wieder an Leuten vorbei, die ich schon mal gesehen hatte. Wir waren alle in einem ähnlichem Aggregatzustand. In einem knackigen Leg-snapper sah ich Ali von hinten rankommen. Nach ein paar Minuten zog er sichtlich erleichtert an mir vorbei. Ich dachte nur: Wow, Respekt! Gute Einteilung. Irgendwann hatte aber auch er Probleme, der Abstand wurde nach ca. 30 Minuten kleiner und ich bin wieder an ihm vorbei. Wir waren am Point of no return angelangt, aber wir waren nicht allein.

Point of no return

Nach einer kleinen verbalen Auseinandersetzung mit anschließender Friedenspfeife beschlossen wir, das Ding gemeinsam mit Würde zu Ende zu fahren.
Und dann endlich Arta. Letzte Verpflegung. Der ganze Ort schien zu feiern und begrüßte uns wie Heilige. Mit Disko, Erdbeernebel und Tabletts voller Bier. Wir lehnten dankend ab. Noch eine Cola auf die Hand, eine in die Flasche und weiter. Ich war den Tränen sehr nahe. Die Sonne brannte zum Glück alles weg.
Nur ca. 20 Kilometer noch zu fahren, aber es wurde hart. Schnurgerade, lange Landstraßen mit diversen Wellen. Noch immer 300 Höhenmeter und das Krokodil knurrte, verdammt. Ali und ich bekamen abwechselnd Krämpfe in den Oberschenkeln. Es hatte schon fast etwas von einer Slapstick-Nummer. Und noch immer kamen kleine geschlossene Teams von hinten. Bewundernswert. Den Großteil der Strecke war ich alleine gefahren, das war der Preis. Wenige Kilometer vor dem Ziel noch ein Unfall mit großem Besteck. Scheiße, sowas tut einem echt leid.

Aber dann wurde runtergezählt. Rückkehr in die Zivilisation. Menschen. Standing Ovations. Wir waren beide sooo happy, dass der Renntag gleich ein Ende haben würde. Ich rief noch schnell meine Schwester an, um uns anzukündigen. Wenige Minuten später, nach genau 11:54Std. und 312,54km überquerten wir die Ziellinie (370. Platz, immerhin). Alle Anstrengungen waren sofort vergessen. „Una cerveza por favor!“

Ich würde es wieder tun! 🙂

Ein paar Zahlen?

Distanz: 312,54km
Bewegungszeit: 11:22:47
Verstrichene Zeit: 11:57:41
Durchschnitt: 27,5km/h
Max. Geschwindigkeit: 77km/h
Herzfrequenz: 130bpm
Kalorien: 6.903
Schaltvorgänge: 1.644
Bevorzugter Gang: 48×19

Zieleinlauf zusammen mit Ali - © sportograf
Zieleinlauf zusammen mit Ali – © sportograf

3 Antworten auf „MALLORCA 312 – More than a Gran Fondo“

  1. Es ist wieder superspannend Ihnen hier zu folgen!!!! Wir wünschen wieder alles Gute und ganz viel Erfolg!!!
    Herzliche Grüße
    Christiane Straube von den Kinderschützern

  2. Wir sind auch nochmal von Frau Straube auf diese weitere beeindruckende Leistung aufmerksam gemacht geworden.
    Radeln sie weiterhin vorsichtig, wir sind gespannt was noch kommt 🙂 Viele liebe Grüße vom Mädchentreff Ottensen Team

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